Storytelling jenseits der Heldenreise

5 alternative Erzählmodelle

Autor:in
Portrait von Katharina Wohlfahrt | © punkt & komma
Katharina Wohlfahrt
Content-Redakteurin

Unternehmenskommunikation, Content-Management, Branding: Überall dort ist Storytelling ein wirksames Instrument – wenn man es richtig einsetzt! Dabei gibt es zwei Optionen: Entweder du gehst auf Nummer sicher und arbeitest mit der altbewährten Heldenreise, dem vorherrschenden Erzählmodell der Gegenwart. Oder aber du schlägst neue Wege ein und wagst dich auf unbekanntes Terrain. Wie das erfolgreich gelingt und wie deine Geschichten der Zukunft aussehen könnten, erfährst du jetzt! 

Rückblick:

Heldenreise nach Campbell

Kurz zur Erinnerung: Die Heldenreise ist leicht verständlich, hat eine klare Struktur und lässt sich auf fast alle Themen anwenden. Doch ist der in sich geschlossene Heldenepos auch das Erzählmodell der Zukunft? Zeit, dieser Frage auf den Grund zu gehen und mit verschiedenen Storytelling-Ansätzen zu experimentieren – um sich besser heute als morgen mit authentischen Geschichten von der Konkurrenz abzuheben. 

Storytelling in der Post-Heldenreise-Ära

Storytelling = Heldenreise? Von wegen! Es gibt verschiedene Alternativen, die die Möglichkeit bieten, Geschichten anders zu erzählen und trotzdem – oder gerade deshalb – im Gedächtnis zu bleiben. Fünf davon möchte ich euch gerne etwas genauer vorstellen. 

1. Dialogische „Jointly told Tales“

„Jointly Told Tales“ – also gemeinsam erzählte Geschichten – beleuchten einen bestimmten Sachverhalt in Dialogform und aus unterschiedlichen Perspektiven. Auf eine Erzählhierarchie wird vollkommen verzichtet, jede individuelle Erzählung ist gleichwertig. Viele kleine Stories verschmelzen zu einem großen gemeinsamen Ganzen. Die Geschichte an sich bleibt immer offen und lässt jederzeit Raum für neue Ansichten und weitere Meinungen. Die Idee der „Jointly told Tales“ ist auf den amerikanischen Ethnologen John van Maanen zurückzuführen. Sie fußt auf der Methode der „Learning Histories“. 

In der Unternehmenskommunikation können multiperspektivische Erfahrungsgeschichten zum Beispiel bei Produktpräsentationen zum Einsatz kommen. Klassische Beschreibung war gestern! Bestimmt haben auch Entwickler, Mitarbeiter oder zufriedene Kunden Spannendes zu sagen, wodurch nach und nach eine packende Geschichte entsteht – wie es in der Facebook-Gruppe unseres Kunden Simplon der Fall ist. 

2. Resonanznarrative

Auch bei Resonanznarrativen handelt es sich um Geschichten über individuelle Erfahrungen und Momente, die uns fesseln und ergreifen. Im Vordergrund steht die Reaktion auf einen konkreten „point of view“. Jeder wird von etwas berührt und kann wiederum selbst andere berühren – und genau diese Tatsache entscheidet über gelungene Wechselbeziehungen zwischen deinem Unternehmen und seiner Umwelt. Grundlage dieser Erzählform ist die vom deutschen Soziologen und Politikwissenschaftler Hartmut Rosa entwickelte Resonanzthese.     

Beispiele im Unternehmenskontext sind Kunden- oder Mitarbeiterstimmen. Lass deine Stakeholder zu Wort kommen und ihre persönlichen Erlebnisse mit deiner Marke, deinen Produkten oder Dienstleistungen erzählen. Wichtig ist, dass ihre Geschichten wirklich authentisch sind und auch dementsprechend präsentiert werden. Die Kundenstimmen auf der Startseite von The Female Company zeigen, wie das aussehen kann. 

3. Mikrogeschichten

Mikrogeschichten sind extrakurze Geschichten. Während selbst kurze Erzählungen normalerweise aus drei Teilen bestehen, kommt die Mikrovariante mit zwei Teilen aus: einer Ausgangs- und einer Endsituation. Es braucht weder einen Gegner noch einen langen Spannungsbogen. Die gesamte Story wird auf die Kernbotschaft heruntergebrochen. Wichtig ist ein starker, überzeugender Einstieg, um den Leser am „narrativen Haken“ zu haben. Plus ein überraschendes Ende, das für einen Aha-Effekt sorgt. 

Das wohl bekannteste Beispiel ist Julius Caesars „Veni, vidi, vici“. „Ich kam, ich sah, ich siegte“: Natürlich hatte er sehr wohl einen Gegner. Wer dieser war, bleibt allerdings unklar, da es für die Botschaft irrelevant ist. Caesar zog in die Schlacht und gewann diese – das ist alles, was zählt.  

4. Kishōtenketsu

Eine Geschichte, die ganz ohne Konflikte und Prüfungen auskommt? Gibt es – und sie zählt in China, Korea und Japan sogar zu den klassischen Erzählstrukturen. Charakteristisch für das Modell Kishōtenketsu ist eine unerwartete Wende, die im ersten Moment nichts mit der eigentlichen Handlung zu tun hat. Klingt komisch? Ist für die meisten europäischen Storyteller einfach nur ungewohnt. Geschichten gliedern sich demnach wie folgt: 

  1. Ki: Einleitung
  2. Sho: Weiterführung
  3. Ten: Wende mit (höchstens) indirektem Bezug zum Thema
  4. Ketsu: Schluss, in dem alles zusammengeführt wird und Schlüsse gezogen werden

Es ist gar nicht so leicht, ein deutschsprachiges Beispiel für diese Erzählform zu finden. Am ehestens kommt wohl die Geschichte des Smoothie-Herstellers Innocent heran. Sie startet mit dem Verkauf von Smoothies auf einem Musikfestival. Was das Ganze mit der Unternehmensgründung zu tun hat, wird erst in weiterer Folge erläutert. Auch abgesehen davon präsentiert Innocent eine bunte Produktwelt, die ganz ohne Konflikte auskommt.

Gründungsgeschichte
Bunte Produktwelt

5. Viking-Velociraptor-Formel

Bereits der Name dieser Alternative zur Heldenreise bleibt im Gedächtnis: Viking-Velociraptor-Formel. Der Storytelling-Ansatz stammt von Colin Theriot und enthält die folgenden fünf Komponenten:

  1. Verify (überprüfen)
  2. Validate (bestätigen)
  3. Vantage (Vorteil)
  4. Values (Werte)
  5. Villains (Gegner)

Ähnlich wie beim Storydoing wird verdeutlicht, wofür und wogegen du mit deiner Marke „kämpfst“. Im Fokus steht das „sprachliche Aktivwerden“.

Beispiel gefällig? In der Kommunikation des Start-ups Einhorn lassen sich Parallelen zur Viking-Velociraptor-Formel finden: Auf der Über-uns-Seite wird ein allseits bekannter frustrierender Zustand illustriert, um anschließend aufzuzeigen, was das Unternehmen dagegen tut. Im Fairstainability Report 2017 treten die eigenen Werte den klar benannten Gegnern gegenüber. 

Über-uns-Seite
Fairstainability Report 2017
Zusammengefasst:

Das braucht eine gute Geschichte

Modelle hin oder her – es gibt mehrere Elemente, die eine gewöhnliche Erzählung zu einer richtig guten Geschichte machen. Dazu gehören:

  • Relevanz für den Leser
  • Überraschung (z. B. „in medias res“, also mitten im Geschehen einsteigen, um das Interesse an der übrigen Story zu wecken)
  • Einzelheiten und Perspektivenwechsel, um die Vorstellungskraft anzuregen
  • Emotion und lebendige Sprache (vielleicht sogar in Form von Interviews)
  • spannungserzeugende Signalwörter (plötzlich, erstmals, auf einmal)

Und nicht vergessen: Wie jede andere Art der Unternehmenskommunikation sollten auch Geschichten auf ein bestimmtes Ziel einzahlen. Versuche daher auch bei persönlichen Erzählungen den Bogen zu deinem Unternehmen zu spannen. 

Trau dich, über den Tellerrand hinauszublicken und behalte dabei stets den Stoff, aus dem gute Geschichten sind, im Hinterkopf. Dann klappt`s auch mit dem Storytelling, ohne dass unbedingt ein Held auf Reisen geht …

Du möchtest gerne gemeinsam Erzählideen für dein Unternehmen spinnen? Das Team von punkt & komma ist jederzeit für dich da. Schreib uns!

Empfohlene Artikel