Native oder Nicht-Native, das ist hier die Frage

Warum Muttersprachler nicht immer die besseren Übersetzer sind

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Portrait von Susanne Holzer | © punkt & komma
Susanne Holzer
Content-Redakteurin

Eins steht fest: Das World Wide Web trägt seinen Namen nicht ohne Grund. Online sind Länder und Kulturen, die in der realen Welt viele Flugstunden trennen, nur einen Klick voneinander entfernt. Deine Unternehmens-Webseite oder deinen Online-Shop sieht im besten Fall also nicht nur Herr Maier von nebenan. Sondern auch Herr Andrews aus Boston oder Frau Sanchez aus Madrid. Dass die nicht unbedingt auch alle Deutsch sprechen, liegt auf der Hand. Eine englische (beziehungsweise mehrsprachige Version) deiner Seite macht also aus mehreren Gründen Sinn: 

Mit einer englischen Version deiner Webseite …

  • … erreichst du eine größere Zielgruppe.
  • … verbesserst du dein SEO-Ranking.
  • … beweist du eine hohe Kundenorientierung.
  • … unterstreichst du die internationale Ausrichtung deiner Marke. 
  • … kannst du einen wertvollen Vorsprung vor der Konkurrenz erreichen.

 

Und, wer soll nun die englische Version deiner Webseite übernehmen? Du selbst mit deinem Schulenglisch? Dein Kundenservice-Beauftragter für den englischsprachigen Raum? Dann vielleicht doch lieber ein externer Übersetzer. Ja, genau: Hier muss ganz klar ein Native Speaker her, wer sonst könnte schließlich eine perfektere Übersetzung abliefern? Oder vielleicht doch nicht …?

Seite eines aufgeschlagenen Englisch-Wörterbuches | © unsplash

Der Native Speaker

Der Heilige Gral der Übersetzung

Viele Unternehmen bestehen darauf, dass ihre Unterlagen ausschließlich von Native Speakern – also von Muttersprachlern – ins Englische übersetzt werden. Für viele ist der Native Speaker so etwas wie der Heilige Gral der Sprachbeherrschung. Schließlich spricht er oder sie doch perfekt Englisch! Die beste Qualität für eine Übersetzung erhält man folglich, wenn sie auch ein Muttersprachler übersetzt.

Ja, aber: Bis zu einem gewissen Grad stimmt das auch. Schließlich kennt ein Native Speaker mutmaßlich alle Nuancen und Bedeutungsfeinheiten seiner Muttersprache. Aber fangen wir ganz von Anfang an …

Was bedeutet überhaupt Muttersprache?

Hier fängt es schon an, interessant zu werden … Streng genommen meint der Begriff Muttersprache – wie der Name schon sagt – jene Sprache, die von der Mutter gesprochen und an das Kind weitergegeben wird. Wie sieht es aber in Ländern aus, in denen mehrere Sprachen gesprochen werden? In Familien, in denen Mutter und Vater nicht dieselbe Sprache sprechen? 

Stell dir zum Beispiel vor: Eine türkische Familie, die seit Generationen in Deutschland lebt, bekommt ein Kind. Die Eltern sprechen zu Hause türkisch, in Kindergarten und Schule lernt das Kind von Anfang an Deutsch. In welcher Sprache hat das Kind die größere Sprachkompetenz? Die bessere Grammatik? Den schöneren Schreibstil? 

Da das Konzept der „Muttersprache“ also etwas tricky ist, spricht man bei Übersetzern eher von der „Erstsprache“ oder „L1“. Damit meint man die erste Sprache, die in der Kindheit erlernt wurde – unabhängig davon, in welchem Kontext.

Das Native-Speaker-Prinzip

Dass man in seiner Erstsprache mit hoher Wahrscheinlichkeit auf mehr Ressourcen zurückgreifen kann als in der Fremdsprache, liegt auf der Hand. Das Übersetzen in die „eigene“ Sprache gelingt meist schneller und es treten seltener Formulierungsschwierigkeiten auf. Beim Übersetzen in die Fremdsprache muss auch der beste Übersetzer unweigerlich öfter zum Wörterbuch greifen, um den einen oder anderen Begriff nachzuschlagen.

Viele Unternehmen und Übersetzungsbüros setzen deshalb auf das Native-Speaker-Prinzip. Ein deutscher Übersetzer übersetzt also nur Texte ins Deutsche, ein britischer Übersetzer nur ins Englische und so weiter. Die sogenannte „Zielsprache“ beim Übersetzen ist in diesem Fall also immer die Mutter- bzw. Erstsprache.

Globus auf einem Tisch | © unsplash

Übersetzen Native Speaker automatisch besser?

So weit, so gut – der Native Speaker hat also die höchste Sprachkompetenz und somit auch die höchste Übersetzungskompetenz. Richtig? Nein! Oder besser: Jein!

Eine Sprache als Muttersprache zu haben, bedeutet leider noch lange nicht, dass man auch gleichzeitig ein guter Übersetzer ist. Schließlich kann jemand nicht automatisch auch gut schreiben, nur weil er Muttersprachler ist.

Anders gefragt: In Österreich leben rund acht Millionen Menschen – die meisten von ihnen mit Deutsch als Muttersprache. Würdest du jeden von ihnen bedenkenlos das Motivationsschreiben für deinen Traumjob schreiben lassen? Wohl eher nicht …

Auch ein Muttersprachler kann ein schlechter Übersetzer sein

Neben dem Schreibstil gibt es viele weitere Anforderungen, die ein guter Übersetzer erfüllen muss. Einige davon haben wir bereits in unserem Artikel „4 Mythen bei der Webtext-Übersetzung“ näher beleuchtet. Das Fazit: Einem schlechten Übersetzer nützt es rein gar nichts, Muttersprachler zu sein. 

Es bewahrt ihn nämlich nicht vor folgenden Fails:

  • Verständnisfehler im Ausgangstext: Ein Native Speaker der Zielsprache muss noch lange nicht alle Nuancen des Ausgangstexts verstehen. Vielleicht fehlen ihm trotz exzellenter Kenntnisse in seiner Erstsprache ganz einfach die entsprechenden Fähigkeiten in der Ausgangssprache. Und wer einen Text nicht versteht, kann ihn unmöglich richtig übersetzen …
  • Fehlende Fachkenntnis: Auch ein englischer Muttersprachler ist kein Experte auf jedem Gebiet. Es ist schier unmöglich, sich gleichermaßen gut in Themen wie Recht, Medizin, Schalungstechnik und Rosenzucht auszukennen und alle Fachbegriffe zu kennen.
  • Fehlende interkulturelle Kompetenz: Sprachen funktionieren verschieden. Sie werden maßgeblich von der jeweiligen Kultur und dem Lebensumfeld mitgeprägt. Viele Bilder oder Konzepte, die in einer Sprache Sinn machen, tun es in einer anderen nicht. Übersetzen ist die Kunst, ein Bild zu finden, das in der Zielsprache funktioniert – und das erfordert sowohl kulturelle Kompetenz als auch Kreativität.
  • Schlechter Schreibstil: Übersetzen ist ein ebenso kreativer Prozess wie das Schreiben des Ursprungstextes. Es reicht nicht, zu wissen, wie ein Wort in einer anderen Sprache heißt. Man muss es auch richtig „verpacken“ – das heißt, die Übersetzung muss für den Leser so zu lesen sein, als wäre sie für ihn geschrieben worden. Dazu gehören nicht nur Grammatik, Satzbau und Satzzeichen, sondern auch ein ansprechender Schreibstil.
Zwei Wandregale mit Gegenständen mit englischer und amerikanischer Flagge | © unsplash

Warum Nicht-Natives eine echte Alternative sind

Liefern nun Natives oder Nicht-Natives die besseren Übersetzungen? Eigentlich führt sich die Frage selbst ad absurdum. Die besseren Übersetzungen liefern nämlich ganz einfach: die besseren Übersetzer – ganz gleich, ob diese nun Muttersprachler sind oder nicht!

Ein kleiner Denkanstoß: Hast du gewusst, dass das Studium der Translationswissenschaft mehrere Jahre dauert? Die entsprechenden Sprachkenntnisse sind dabei für die meisten Sprachpaare VORAUSSETZUNG für das Studium. Was sollten die fleißigen Translationswissenschaftler also all die Jahre lernen, wenn Sprachkenntnisse allein genügen würden?

Unser Fazit: Wenn dein Übersetzer ein Native ist – toll! In erster Linie kommt es aber darauf an, dass er ein guter Übersetzer ist! Der Begriff „Native Speaker“ ist kein Qualitätssiegel – er bedeutet noch lange nicht, dass du auch die beste Übersetzung für dein Geld bekommst. Oft fährst du mit Nicht-Natives, die dafür richtig gute Übersetzer sind, wesentlich besser. 

Mit der Wahl des richtigen Übersetzers sparst du nicht nur Zeit und Geld, sondern entgehst hoffentlich auch der Schmach, mit deiner Webseite als Übersetzungsfail zu enden.

Na, bist du nach diesem Artikel auf der Suche nach einem guten Übersetzer? Dann schau dir doch mal an, was punkt & komma im Bereich Englische Textierung & Übersetzung zu bieten hat! 

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